SBGG
Argumentationshilfe
und Quellen
und Quellen
Nach dem 1. August 2024 war klar: Es gibt Probleme mit dem Selbstbestimmungsgesetz und den Standesämtern. Ich habe, wie viele andere auch, quasi sofort eine Ablehnung erhalten. Doch das war und ist nicht rechtens!
Falls du noch Probleme mit deinem Standesamt hast, findest du hier Quellen und dazu passende Argumentationsstrategien, die dir eventuell helfen können.
Ich habe diese Seite absichtlich möglichst einfach formuliert.
(Ich biete KEINE Rechtsberatung und garantiere nicht für die Richtigkeit dieser Seite, es ist jedoch viel gründliche Arbeit in diese Aufarbeitung geflossen.)
Geschichte / Ursprung des Problems:
Am 12. April 2024 hat der Bundestag über das Selbstbestimmungsgesetz abgestimmt und es beschlossen. Es wird zum 1. November in Kraft treten.
Am 18. Juli 2024 gab das Bundesinnenministerium ein Schreiben an die Standesämter, in welchem in 4 Punkten die Umsetzung des SBGG genauer definiert wurde. Diese 4 Punkte haben dafür gesorgt, dass es die Probleme bei den Standesämtern überhaupt gab.
Am 14. August 2024 gab es zwar ein weiteres Schreiben vom Bundesinnenministerium (BMI) zur Korrektur, das wurde aber nicht von allen Standesämtern angenommen, daher werden alle mir bekannten Probleme weiter hier aufgelistet und behandelt.
„Die Vornamensanzahl darf sich nicht ändern.“
Manche Standesämter behaupten, dass die Anzahl der neuen Vornamen nicht anders als die Anzahl der Deadnames sein darf. Manche fordern einen weiteren Namen oder fordern, dass man einen Namen weglässt oder zwei Vornamen mit einem Bindestrich verbindet.
Dies wird im ersten Schreiben vom BMI als These aufgestellt und im zweiten Schreiben widerrufen.
Es gibt eine Höchstgrenze der Vornamen bei 5, aber innerhalb dieser Grenze darfst du deine Vornamen frei wählen.
Schicke deinem Standesamt eine Mail, in der du nach dem zweiten Schreiben und der damit verbundenen Korrektur fragst.
Sollte das zweite Schreiben von deinem Standesamt abgelehnt werden bzw. wenn das nichts bringt, können folgende Argumentationen helfen:
1. Die Standesbeamt:innen sind in ihrer Arbeit als Urkundenpersonen nicht weisungsgebunden. Bedeutet, dass sie keine Anweisungen wie in den Schreiben des BMI befolgen müssen. Wenn sie das zweite Schreiben nicht respektieren, müssen sie es auch nicht mit dem ersten. (Quelle: § 2 Abs. 2 Personenstandsgesetz)
2. Es gab im Transsexuellengesetz (TSG) keine Einschränkung zur Vornamensanzahl. Weder in der großen, noch in der kleinen Lösung. Wieso sollte also das SBGG in dieser Sache weniger Selbstbestimmung zulassen als das TSG? (Quelle: TSG)
3. Der letzte Schritt wäre, das Amtsgericht anzurufen. Das tust du bitte erstmal NICHT! (Siehe dazu unten den Abschnitt »Wenn das Standesamt trotzdem nicht mitmacht …«)
Aber das Gericht schaut bei unklaren Gesetzeslagen gerne in die sogenannte „Amtliche Begründung“ oder auch „Gesetzbegründung“, um genauer zu verstehen, was die Intention hinter dem Gesetz ist und wie es von den Gesetzgeber:innen gemeint war. Deswegen kannst du damit auch schonmal Argumentieren. Diese Begründung finden wir in Bundestag Drucksache 20/9049.
„Es gelten für die Vornamensbestimmung dieselben Regeln, die für die Vornamensbestimmung bei Geburt gelten.“
(Es gibt noch eine Korrektur des Gesetzes, dort wird aber nur die Gesetzbegründung für die Änderungen angegeben. Da die betroffene Frage hier aber nicht geändert wurde, ist in der aktualisierten Fassung nichts dazu zu finden.)
Auf derselben Seite etwas weiter oben steht, dass das Standesamt eine Erklärung nur dann ablehnen darf, wenn ein Fall des offensichtlichen Missbrauchs vorliegt. Am Ende der Mail kannst du definitiv sagen, dass du das dann gerne schriftlich hättest.
4. Weitere Schritte findest du unten, wenn nichts davon geholfen hat.
„Dein Name passt nicht zu deinem Geschlecht.“
Ja, das Problem ist leider auch auf das erste Schreiben des BMI zurückzuführen und wurde im zweiten NICHT korrigiert.
Das BMI bezieht sich in beiden Schreiben ja lediglich auf den § 2 Abs. 3 SBGG, dieser § ist für die Erklärung zuständig.
In der Gesetzbegründung zu dem § 2 Abs. 3 (Bundestag Drucksache 20/9049 Seite 36) steht:
„Dabei sind nach § 2 Absatz 3 SBGG Vornamen zu bestimmen, die dem gewählten Geschlechtseintrag entsprechen. Entsprechen die bisherigen Vornamen bereits dem gewählten Geschlechtseintrag, so können auch diese zu den neuen Vornamen bestimmt werden.“
und
„Es gelten für die Vornamensbestimmung dieselben Regeln, die für die Vornamensbestimmung bei Geburt gelten.“
Hier legt also das BMI/Standesamt das Gesetz so aus, dass Menschen mit dem Geschlechtseintrag »männlich« ausschließlich männliche Namen führen dürfen, Menschen mit dem Geschlechtseintrag »weiblich« ausschließlich weibliche Namen führen dürfen und Menschen mit dem Eintrag »divers« oder Streichung des Geschlechtseintrags nur (aus der Sicht des Standesamtes) neutrale Namen führen dürfen.
Bei Neugeborenen ist das aber nicht der Fall, sonst gäbe es keine Menschen, die Sam oder Alex heißen würden. Und die Gesetzbegründung sagt eindeutig, dass dieselben Regeln gelten wie bei der Geburt eines Kindes.
Ebenfalls gibt es dazu ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht aus dem Jahr 2008. Die Eltern des Kindes „Kiran“ haben Verfassungsbeschwerde eingelegt, weil der Name als neutral gilt und das Standesamt einen zweiten geschlechtsspezifischen Vornamen verlangt hat.
Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass ein neutraler Name für das Kind OK ist. Nur wenn das Kindeswohl durch den Namen in Gefahr ist, darf das Standesamt den Namen verweigern. (Quelle: - 1 BvR 576/07 - [Vollständiges Urteil unten])
Nimmt man dieses Urteil und die Gesetzbegründung, dürften Menschen mit dem Eintrag »männlich« sowohl männliche als auch neutrale Vornamen wählen, Menschen mit dem Eintrag »weiblich« dann weibliche und neutrale Vornamen wählen und Menschen mit dem Eintrag »divers« oder ohne Eintrag können männliche, weibliche und neutrale Vornamen wählen.
Du kannst deinem Standesamt ebenfalls Dokumente (z. B. deinen dgti Ergänzungsausweis) zeigen, um zu belegen, dass du den Namen nutzt und er dir nicht schadet.
Die queere Organisation Lambda hat dazu eine rechtliche Einordnung verfasst, die ihr für euer Standesamt nutzen könnt. (Quelle: Lambda Bundesverband rechtliche Einordnung SBGG)
Sollte diese Argumentation nicht helfen, findest du weitere Schritte unten.
„SBGG, was ist das? Anmeldeformular?“
Wenn dein Standesamt kein Anmeldeformular auf der Website hat oder noch mit Telegraf und Morsecode mit der Außenwelt verbunden ist und noch nichts von diesem Gesetz weiß, hast du mehrere Optionen.
1. Du kannst theoretisch zu jedem Standesamt gehen, du musst nur bei dem Standesamt, bei dem du die Anmeldung abgibst, auch deine Erklärung abgeben. Egal welches Standesamt es wird, sie werden die Änderungen an dein Geburtsstandesamt weiter geben, also zu dem Standesamt wo auch deine Geburtsurkunde ausgestellt wurde.
2. Sollte es schon dein Geburtsstandesamt sein, kannst du sie auf Bundesgesetzblatt Nr. 206 aus 2024 hinweisen.
3. Sollten sie kein Anmeldeformular auf ihrer Website haben und du weißt nicht, ob du vor Ort eins bekommst, ist es sinnvoll eines selbst zu schreiben. Auf sbgg.info findest du eine Anleitung oder du kannst meine vorgefertigte Anmeldung nutzen. (Anmeldung zum Ausfüllen)
„Den Namen gibts doch gar nicht!“
Wenn dein Standesamt deinen Namen nicht als Vornamen anerkennt, gibt es zwei (mir bekannte) Optionen.
1. Suche und bringe selber Nachweise über deinen Namen. Gibt es einen Charakter aus (Video-)Spielen, Serien, Filmen oder Büchern mit diesem Namen? Namenslisten oder bekannte Persönlichkeiten mit demselben Namen? Das Standesamt muss diese Quellen natürlich nicht annehmen, schaden kann es allerdings auch nicht.
2. Fordere ein Gutachten bei der Gesellschaft für deutsche Sprache e. V. an. Dies kann allerdings Kosten. Die Telefonberatung kostet pro Minute, per Mail ist die Anfrage zunächst kostenlos. Wenn die GfdS dir ein positives (deinem Wunsch entsprechendes) Gutachten ausstellen kann, kostet es 40 €. (Für den Fall, dass sich die Preise ändern, schaut bitte VORHER nochmal auf die Preisliste)
Das Gutachten der GfdS ist leider auch keine Garantie, die meisten Standesämter akzeptieren jedoch diese Gutachten.
Sollte auch das nicht funktionieren, findest du weitere Schritte unten.
Wenn das Standesamt trotzdem nicht mitmacht…
Solltest du erstmal Ruhe bewahren. Es gibt immer noch Möglichkeiten.
Zunächst kannst du dich an eine Organisation wenden, die in dieser Sache Hilfe anbietet. Lambda bietet einen peersupport an oder du meldest dich beim Bundesverband trans.
Wenn du deine Begleitung hast, gibt es 4 Optionen:
1. Eine Anweisung durch das Gericht. Wenn das Standesamt die Erklärung ablehnt, kann dey/xier/die/der Betroffene das Amtsgericht anrufen (gemäß § 49 Personenstandsgesetz), mit dem Ziel, das Standesamt anzuweisen, die Amtshandlung durchzuführen. Ich weiß leider nicht, ob und wenn ja, wie viel das kosten könnte. Alternativ kann die Standesamtperson auch das Gericht anrufen, um eine Klärung über das Gericht anzufordern. Das sollte kostenfrei sein, ein Rechtsbeistand ist allerdings empfehlenswert und kostet. Es sei denn, du holst dir eine Verfahrenskostenbeihilfe.
2. Einzelpetition beim Landtag. Fühlt sich eine Person von Ämtern oder Behörden diskriminiert, kann beim Petitionsausschuss des zuständigen Landtages eine Petition eingereicht werden von nur einer Person. Keine weiteren Unterschriften nötig. Diese Petition muss, wie jede andere auch, mit Sorgfalt und einer gewissen Gründlichkeit bearbeitet werden und erhöht den Druck auf die Behörde.
In einigen Bundesländern ist eine Einzelpetition auch auf kommunaler Ebene möglich, bedauerlicherweise nicht in allen.
3. Nervt eure Lokalpolitiker:innen. Schreibt euren Bürgermeister:innen und Mitglieder:innen des Stadtrates. In vielen Fällen kann auch das weiterhelfen.
4. Schreibt eurem Inklusions-/Gleichstellungsausschuss. Wenn ihr einen solchen Ausschuss habt, wendet euch an sie. Mein Standesamt hat nachgegeben, nachdem sich der Ausschuss für mich bei ihnen gemeldet hat.